Alt wie ein Baum kuratiert von Milen Till und Ruscha VoormannAtelierhaus Baumstraße, München15. Oktober - 13. November 2022Eröffnung: 14. Oktober 2022
Alt wie ein Baum von David Baum Während ich an meinem großen Holztisch sitze, der aus dem Holz eines Baumes aus dem Garten meiner Großmutter getischlert wurde, und überlege, was es über die Zeile „Alt wie ein Baum“ zu schreiben gäbe, grummelt es aus der Ecke des Raumes. Dort steht ein uralter Kasten, in dessen fast verblichener bäuerlicher Bemalung zu erkennen ist, dass er im Jahr 1839 gebaut worden war. Nun meldet er sich zu Wort. 138 Jahre und kein bisschen leise. Es ist nicht neu, dass er knurrt, manchmal ist es auch mehr ein Knistern oder Knacken, nun ergibt es Sinn. Spricht da etwa der Baum, der schon so lange in keiner Erde mehr wurzelt, aber sich bis heute immer wieder als lebendig zu erkennen gibt? Manche meinen den ältesten Baum der Welt zu kennen. Es ist eine windschiefe Fichte in einer felsigen Hochebene Schwedens und hat einen Namen: Alt Tjikko. Die Forscher sind sich sicher, dass er seit etwa 9500 Jahren hier steht. Zu jener Zeit lebten allerhöchstens 400.000 Menschen in Europa, freuten sich, dass die Eiszeit zu Ende ging, und grübelten darüber, was man wohl mit diesem feuchten Boden alles so anstellen könnte. Mal säen, was kommt. Schon damals dürfte der Baum als eine Art Symbol für das Leben gegolten haben, jedenfalls erträumten sich die folgenden Generationen eine Weltenesche, Adam und Eva naschten in den Schriften der Hebräer verbotenerweise vom Baum der Erkenntnis, bei den Ägyptern spann der Isched-Baum den Kontakt zum göttlichen Horizont, die Wurzeln des heiligen Baumes Eridu reichten bei den Babyloniern und Sumerern tief in die Unterwelt, in der Bhagavad Gita wächst der Ashvatta-Baum als Analogie zur ganzen Welt, und auch die legendäre Grabplatte von Palenque der Maya-Kultur kündet vom Wacah Chan, einem heiligen Baum. Man muss kein Mystiker sein und kein Öko, um zu ahnen: Dem Adieu forêts werden ganz andere Abschiede vorausgegangen sein. Die Menschen werden die Bäume nicht überleben. Einmal wanderte ich mit einem Förster und Baumforscher durch das Gehölz des Salzburger Pongaus, und ließ mir davon berichten, dass die Weisheiten der alten Bauern, wissenschaftlich Bestand hätten. Die Überlieferung behauptet zum Beispiel, dass Holz, das bei abnehmendem Mond oder Neumond gefällt wird, weitaus haltbarer sei. Was logisch sei, sagte mein Begleiter, schließlich halte der Mond die Weltmeere in Bewegung, wieso soll es die Gezeiten nicht auch in den Wasserströmen im Inneren des Holzes geben? Regelmäßig suchen ihn berühmte Geigenbauer auf, dann wandern sie tagelang durch die Wälder und klopfen an Stämme, bis ein Baum die richtige Antwort gibt, und sich freiwillig für ein ewiges Leben als Resonanzkörper meldet. Für einen Baum ist das ewige Leben eine weitaus greifbarere Angelegenheit, als für uns Menschen. Wer nicht religiös ist, darf sich damit trösten, sich immerhin in die Nahrungskette einzugliedern und dort Fortbestand zu finden. Neuerdings wird als Bestattungsmethode angeboten, sich kompostieren zu lassen, und als Nährboden eines Baumes wiederzukehren. Ich überlege es mir. Bis heute geben uns Bäume, von denen es immerhin geschätzte drei Billionen auf der Erde gibt, Rätsel auf. Der Bestseller-Autor und Förster Peter Wohlleben berichtet vom erstaunlichen Kommunikationsnetzwerk des Wurzelwerks, das so etwas wie soziale Strukturen kennt. Angeblich verzichten die großen Bäume aktiv darauf, Nährstoffe aus dem Boden zu ziehen, wenn ein kleines Bäumchen daneben sprießt, das diese dringender benötigt. Ist das schon so etwas wie Persönlichkeit? Mein alter Kasten grunzt gemütlich in der Ecke. Aber vielleicht ist es auch bloß der warme Heizkörper, der sein Holz gehen lässt. Ohne den Baum als Motiv wäre wohl auch die Kunstgeschichte eine triste Landschaft geblieben. Und doch schenkt der Baum einem Künstler nichts, degradiert ihn schnell zum sprichwörtlichen „Wald- und Wiesenmaler“. Schon Joseph Beuys entdeckte den Baum als Symbol einer bedrängten Ökologie, nicht ohne ihn auf von Blut durchtränktem Boden wachsen zu lassen. Ruscha Voormann und Milen Till begriffen es als Auftrag, dass das städtische Atelierhaus an der Münchner Baumstraße liegt, und sie ebenda über das einzige der 24 künstlerischen Werkstätten verfügen, das einen Holzboden hat. Dieser muss nun abgeschliffen werden, bevor die Sammelausstellung „Alt wie ein Baum“ mit ihren vielfältigen Werken beginnen darf: der Boden wird zum einen von Ruscha Voormann selbst bespielt, in dem sie aus den Holzleisten eine in sich schlingende Komposition aufträgt, die an kommunizierende Wurzeln erinnert aber auch durch Farbe und Form mit der Arbeit Milen Tills verwandt ist, ein Baumschutz aus Paris, der um die tragende Säule in der Mitte des Raumes greift. Gesellschaft bekommt Ruscha Voormanns Arbeit von deren Professor Gregor Hildebrandt, der die sichtbaren Astlöcher der Holzleisten mit kupfernen Münzen ersetzt. Alicja Kwades Arbeit „Kehrtwende“ ist ein kleines Geländerstück eines Berliner Treppenhauses, der Moment an dem man beim Auf- oder Abgehen die Richtung wechselt. Auf Lars Eidingers „Budapest“ kämpft ein Bäumchen tapfer gegen seine Einzäunung am Straßenrand, nachdem es scheinbar umgeworfen wurde. Eine für Lars Eidinger typisch paradoxe Sichtweise. Sophia Süßmilch bewaffnet bemalte Kriegerinnen, bei der es sich um die Künstlerin selbst und deren Mutter handelt, mit Ästen und Stämmen. Ludwig Stalla zeigt eine Entwurzelung als Relief. Bei Boris Saccone fügt sich eine Trauerweide in ein apokalyptisch anmutendes Weltenbild. Frank Moll lässt Leinwandkeile gegen geometrische Vorgaben aufbegehren. Arnulf Rainer grüßt den toten Beuys mit einem übermalten Eichenblatt. Cindy Sherman tut es ihm gleich und lässt ein Urgesicht durchs Unterholz lugen. Bei Erez Israeli’s zwei zueinander gehörigen Arbeiten entsteht zunächst keine Assoziation zum Baum, erst, wenn man den Titel der Arbeiten liest, bei denen es sich um den in Sobibor ermordeten Künstler Abraham Weinbaum sowie den in Auschwitz ermordeten Künstler Felix Nussbaum handelt. Den Titel „Baum“ trägt die Malerei einer Tanne des in diesem Jahr verstorbenen, New Yorker Künstlers Donald Baechler. Im selben Jahr verstorben und formal eine starke Ähnlichkeit zu Baechler hat der Münchner Universalkünstler Herbert Achternbusch. Bei seiner Arbeit ist ebenfalls eine Tannenform zu erkennen. Nikolai Gümbel zeigt Schwarz- Weiß-Fotografien auf recyceltem Papier. Sophie Schmidt trägt mit einer Performance zum Programm des Eröffnungsabends bei. Die daraus entstehende Arbeit wird anschließend im Raum platziert. Paulina Noltes Bleistift- und Kohlezeichnung trägt ebenfalls den Titel „Baum“, mit dem Unterschied zu Baechler, dass sie die Arbeit für die Ausstellung angefertigt hat. Erik Swars Arbeiten stärken die Ausstellung als malerische Position. Theresa Heckers Bilderfries aus glasierter Keramik trägt den erwärmenden Titel „pini romani“ römische Pinien. Bei der Arbeit von Johanna Strobel handelt es sich um in Epoxidharz gegossenes Marmorpulver das die Form von Kissen eingenommen hat. In eines der Kissen sind reliefartige Augen, in das andere ein reliefartiges Ohr eingearbeitet. Man schärft automatisch die Sinne, wenn man sich diese Arbeit ansieht. Ähnlich geht es einem, wenn man sich der stofflichen Arbeit von Maximilian Haja widmet. Hingucker der Ausstellung ist mit Sicherheit außerdem die ans Gitterfenster projizierte Arbeit von Flaka Haliti, eine riesige Flamme, die man als apokalyptische Mahnung deuten könnte. Dass „Flaka“ tatsächlich Flamme auf albanisch bedeutet, heftet die Arbeit noch stärker an die Künstlerin selbst. Auch mein persönliches Lieblingsbild eines Baumes wird zu sehen sein. Es zeigt eine Birke, die solitär in einem Wald steht, und eine abgewetzte weiße Lederjacke trägt. Die Rinde, die aus dem Kragten ragt, sieht aus wie ein Totemgesicht. Ich erinnere mich noch genau, als ich das Bild meines 2016 verstorbenen Freundes Daniel Josefsohn zum ersten Mal gesehen habe. Es hing riesengroß in einer Ausstellung des Hauses für Fotografie in den Hamburger Deichtorhallen. Ich kam über die Treppe herauf und es zog alle Blicke auf sich. Ich musste zweimal und fünfmal hinschauen, bis ich begriff, dass das Bild meinen Namen trug. „Titel: David Baum“ stand da zu lesen. Typisch Josefsohn, Gag und Geste zugleich. Das Bild hängt als Ausriss aus einer Kunstzeitschrift neben meinem alten Kasten. Und tut das, was ein Baum tun muss, es versöhnt mich mit der Ewigkeit. Wenn ich eines Tages verrottet oder kompostiert sein werde, schauen sicher noch Menschen auf dieses Bild. Und werden sich fragen, wieso dieser Baum einen Vornamen hat, und ich werde nicht tot sein.
Fotos: Lukas Schramm